Liebe Brüder und Söhne des heiligen Franziskus,
Liebe Töchter des heiligen Franziskus und der heiligen Klara,
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,
als Bischof von Würzburg freue ich mich sehr, heute mit Ihnen allen das große Jubiläum 800 Jahre Präsenz der franziskanischen Ordensfamilie in Würzburg feiern zu dürfen. Ein Kloster, noch zu Lebzeiten des heiligen Franziskus gegründet 1221, das also bis in die Ursprünge der franziskanischen Bewegung zurückreicht und damit den Hauch heiligen Beginnens in sich trägt.
Wer auf eine 800-jährige Geschichte zurückschauen kann, der weiß um Höhen und Tiefen. Der kennt Zeiten des Aufblühens genauso wie Zeiten des Niedergangs. Der staunt darüber, wie viel eine Ordensniederlassung dem Charisma Einzelner verdankt wie beispielsweise dem eigentlichen Gründer Caesarius von Speyer. Und der erschrickt zugleich darüber, wie eine scheinbar stabile Gemeinschaft plötzlich von den Zeitläufen hinweggefegt werden kann wie etwa zur Zeit der Säkularisation. Das Kloster war schon zum Aussterben verurteilt und das Ende der Gründung eigentlich nur noch eine Frage der Zeit. Allein König Ludwig I. war es zu verdanken, dass es weiterhin Bestand hatte.
Wer auf eine 800-jährige Geschichte zurückschaut, vermag nicht zuletzt einzuschätzen, was menschliche Tüchtigkeit zuwege bringt. Und er ahnt ebenso, dass jeder sich umsonst müht, wenn nicht der Herr selbst das Haus baut (Ps 127,1). Und er weiß auch um die Unmöglichkeit, das geheimnisvolle Ineinander von Natur und Gnade sauber zu unterscheiden.
In jedem Fall erfüllt uns der Blick auf das 800-jährige Bestehen des Würzburger Franziskanerklosters mit großer Dankbarkeit. Der Dank geht an Gott selbst, der immer wieder seine schützende Hand über das Kloster und seine Brüder gehalten hat. Er sorgte dafür, dass das Wirken der Brüder in Stadt und Umgebung zum Segen für die Menschen wurde und noch immer wird.
Neben der Dankbarkeit aber schenkt uns der Rückblick auf eine jahrhundertealte Geschichte eine gehörige Portion Gelassenheit. Denn wer so viel gesehen und so viel erlebt hat wie diese Mauern, der lässt sich nicht so leicht entmutigen, auch wenn einem der Wind ins Gesicht bläst.
Das war bei der Gründung vor 800 Jahren nicht anders. Deshalb lohnt es sich meines Erachtens, den Gründungsvorgang am heutigen Festtag etwas eingehender zu betrachten. Immerhin hat uns ein Augenzeuge, Jordan von Giano, Mitglied der franziskanischen Pioniertruppe wider Willen, einen höchst anschaulichen Bericht über die Umstände der Klostergründung hinterlassen. Er ist verfasst im Geiste franziskanischer Einfachheit und Verschmitztheit. Auf seinen Erfahrungsbericht stütze ich mich deshalb bei meinen folgenden Ausführungen. Dazu vier Gedanken:
1. Als Franziskaner nicht immer Ja sagen
„…aufgrund der Einsicht, dass sie dank des Wortes ,Ja‘ wohlwollend behandelt wurden, beschlossen sie, auf jegliche Frage mit ,Ja‘ zu antworten.“ So berichtet Jordan von Giano im Zusammenhang mit dem ersten Versuch der Brüder, in Deutschland Fuß zu fassen. Auf jede Frage mit Ja zu antworten, erwies sich allerdings schon sehr bald als fatale Entscheidung. Anfänglich scheint es durchaus angemessen gewesen zu sein, auf die Frage wohlgesinnter Bürger nach ihrer Bedürftigkeit mit Ja zu antworten. Gewährte man ihnen doch großzügig Unterkunft und bedachte sie reichlich mit Nahrungsmitteln.
Dieselbe Antwort bei kritischen Zeitgenossen führte jedoch zu ganz anderen Konsequenzen. Als sie auf die Frage, ob sie denn zu den Ketzern und Albigensern gehörten, ebenfalls mit Ja antworteten, überhäufte man sie mit Schande und Schmach und prügelte sie aus der Stadt.
So sehr uns einerseits die franziskanische Einfalt anrührt, so lehrt uns diese Begebenheit andererseits zumindest zweierlei. Erstens, dass es gut ist, die Sprache der Menschen zu sprechen, wenn man missionarisch unterwegs sein will.
Und zweitens, dass man nicht zu allem Ja sagen muss, gerade wenn man einen evangeliumsgemäßen Lebensstil propagiert. Denn das erfordert, vielem ein beherztes Nein entgegenzusetzen, was der durchschnittliche Bürger für normal oder zeitgemäß erachtet.
Beides wünsche ich Ihnen für Ihre Mission: Die Sprache der Menschen zu sprechen und sie damit anzusprechen und sich verständlich zu machen. Und zweitens, das beherzte Nein all dem entgegenzusetzen, was die evangeliumsgemäße Lebensform verunklart und verwässert. Dass es sich dabei um viele heikle und im Detail auch anstrengende Abwägungsfragen handelt, sollte dennoch den Willen zur inneren Klarheit und Kompromisslosigkeit nicht vergessen lassen, die den heiligen Franziskus auszeichneten.
2. Keine Angst vor dem „Furor Theutonicus“
Nach den traumatischen Erinnerungen an die ersten Gehversuche in Deutschland im Jahre 1219 begann sich in der Gemeinschaft eine panische Angst vor Deutschland breitzumachen. Die Rede war vom sprichwörtlichen „furor theutonicus“, der „deutschen Wut“, von der Grausamkeit der Deutschen und deren Wildheit, so dass Deutschland gemeinhin als Land der Märtyrer galt. Allein der Name der Deutschen genügte schon, um den Brüdern einen gehörigen Schrecken einzujagen. Dementsprechend berichtet Jordan von Giano, 90 Mitbrüder seien „todesbereit“ beim Pfingstkapitel 1221 aufgestanden, um sich von Franziskus in einem zweiten Anlauf nach Deutschland senden zu lassen.
Nun, wer wollte in Abrede stellen, dass der „furor theutonicus“ noch heute jenseits der Alpen für Angst und Schrecken sorgt. Die typisch deutsche Gründlichkeit und Unerbittlichkeit ist ja auch uns selbst bisweilen unheimlich. Denn ein wenig vom Geist franziskanischer Unbekümmertheit und Improvisation täte uns sicher so manches Mal gut.
Indes lehrte aber auch das Scheitern der ersten Deutschlandmission, dass man sich am besten eines Deutschen bediente, um hier weiterzukommen. Die Wahl fiel auf Caesarius von Speyer, was mich natürlich mit besonderer Freude und auch ein klein wenig Stolz erfüllt. Immerhin, etwas Lokalpatriotismus mag mir am heutigen Festtag gestattet sein. Schließlich gehört Caesarius mit Julian von Speyer zu den Brüdern der ersten Generation, die im Orden prägend gewirkt haben.
Caesarius ließ sich von der deutschen Wut nicht so leicht ins Bockshorn jagen. Im Gegenteil, er überzeugte durch seinen Weitblick und sein Organisationstalent, mit der er der franziskanischen Sache diente und die Ausbreitung des Ordens in Deutschland in geradezu beängstigender Schnelligkeit vorantrieb. Der „furor theutonicus“ wurde so der noch jungen Gemeinschaft dienstbar gemacht. Das gefürchtete Deutschland erwies sich keineswegs als Land der Märtyrer, sondern sog begierig die franziskanische Botschaft auf, die hier auf weithin fruchtbaren Boden fiel.
Also: keine falsche Angst vor dem Martyrium, sondern Mut zum echten Glaubenszeugnis, auf das auch heute dieses Land so sehr wartet und das es auch dringend braucht. Mut muss allerdings mit Sachverstand gepaart sein, um Erfolg zeitigen zu können.
Ich lerne aus dieser Episode, dass wir uns selbst oft im Weg stehen mit falschen Ängsten und übergroßen Befürchtungen. Anstatt im Vertrauen auf Gott und großer Entschiedenheit den Glauben zu verkünden, ziehen wir uns dann zu schnell in unser Schneckenhaus zurück.
Und noch eines lerne ich. Ein erster Fehlschlag sollte nicht zur Resignation Anlass geben. Wir leben in einer Zeit, in der oft nur die Methode „trial and error“ weiterhilft und Experimentierfreude gefragt ist. Das verlangt, sich auszusetzen, sich gegebenenfalls auch lächerlich zu machen. Aber ein erster Fehlschlag sollte nicht dazu verleiten, die Flinte gleich ins Korn zu werfen. Die richtige Mannschaft, der rechte Zeitpunkt und das Feuer des heiligen Franziskus helfen weiter.
3. Vom dreifachen Auftrag der Brüder
Von Würzburg aus wurden zwei Brüder in die deutschen Städte an der Rheinschiene ausgesandt. Jordan nennt eigens Straßburg, Speyer, Worms, Mainz und Köln. „Dabei zeigten sie sich den Menschen, predigten das Wort von der Buße und bereiteten für die nachfolgenden Brüder Unterkünfte vor.“ Der dreifache Auftrag bei der Aussendung hat bis heute nichts von seiner Aktualität verloren.
Sich den Menschen zeigen
Die Brüder sollten sich den Menschen zeigen. Zwar gab ihr Auftreten Anlass zum Missverständnis, wie die Misshandlungen beim ersten Missionsversuch zeigten. Sie sahen den Häretikern zum Verwechseln ähnlich. Was die Aufmerksamkeit auf sich zog, war der dezidiert einfache Lebensstil. Der reichen und mächtigen Kirche ihrer Tage wollten sie als Gegenentwurf ein Leben in radikaler Armut entgegensetzen.
Was die Ketzer also völlig zurecht als korrekturbedürftig erkannt hatten, aber jetzt außerhalb und gegen die Kirche zu verwirklichen suchten, bemühten sich die Franziskaner innerhalb und zum Wohle der Kirche zu leben. In jedem Fall erkannten die Zeitgenossen in den Brüdern eine echte Alternative, die sie aufrüttelte, provozierte und zu der man sich verhalten musste. Dass sich so viele Brüder innerhalb so kurzer Zeit dem Orden anschlossen, bewies, dass sie den Nerv ihrer Zeit getroffen hatten.
„Sich den Menschen zeigen“, heißt also, den Menschen vorzuleben, was es bedeutet, das Evangelium „sine glossa“, das Evangelium ohne verwässernden Kommentar und Ermäßigung zu leben und dabei innere Freude auszustrahlen. Vielleicht ist auch in unseren Tagen gerade der radikale Gegenentwurf gefragt, der die Dinge nicht nur ein bisschen anders macht, sondern alles auf eine Karte setzt. Kirchenreform aus dem Herzen der Kirche selbst und nicht gegen die Kirche.
Das Wort von der Buße predigen
In der Nachfolge des heiligen Franziskus sollten sie die Buße predigen. Nicht die dogmatische Predigt war ihr Ding, denn die war den Gebildeten und Klerikern vorbehalten. Ihr Auftrag bestand darin, die Menschen zur Umkehr zu bewegen. Nicht mit klugen und gelehrten Worten, sondern durch ihr Auftreten und die eindringlichen Mahnungen wollten sie wirken. Dabei hatte Franziskus selbst keinerlei Zweifel daran gelassen, wie man sich den idealen Prediger vorzustellen habe:
„Der Knecht Gottes muss durch sein heiligmäßiges Leben so sehr zu einer Flamme werden, dass er durch das Licht des guten Beispiels und durch die Sprache, die sein Lebenswandel spricht, alle Gottlosen im Gewissen trifft. So, meine ich, wird der Glanz seines Lebens und der Wohlgeruch seines guten Rufes allen ihre Sündhaftigkeit kundtun.“
Buße nicht durch Worte, sondern vor allem durch Beispiel predigen. In einer Zeit permanenter Überflutung durch Worte eine wichtige Mahnung. Buße im ursprünglichen und biblischen Sinn, verstanden als beständige Umkehr und Hinkehr zu Gott.
Scharf unterschied Franziskus zwischen den Rednern und den Predigern. Während erstere sich ihrer schönen Worte rühmen, vermögen es letztere, die Menschen innerlich anzurühren. Das allerdings setzt voraus, im stillen Gebet und der Kontemplation das zu erfassen und zu erbitten, was nachher heilige Unterweisung werden will, ohne sich im hohlen Wortgeklingel zu ergehen.
Für die nachfolgenden Brüder Unterkünfte vorbereiten
Unterkünfte für die Nachfolgenden sollten die ersten Brüder vorbereiten. Diese Unterkünfte lagen zu Beginn oftmals außerhalb der Stadtmauern. Die Brüder sollten an die Ränder gehen ganz im Sinne von Papst Franziskus, dorthin, wohin man die Leprosen und Aussätzigen verbannt hatte. Eingedenk des Bekehrungserlebnisses des heiligen Franziskus, der in dem Aussätzigen Christus erkannt hatte, wollten sie in den Armen Christus dienen, wie hier anfangs beim Wöllrieder Hof, wo unsere heutige Wanderung ihren Anfang genommen hat.
Die ursprüngliche Unterkunft gilt es nicht zu vergessen. Sie ist Erinnerung an eine Mission, die bis heute nichts von ihrer Dringlichkeit verloren hat. Von daher freue ich mich ausdrücklich über das Engagement von Bruder Tobias für die Ärmsten der Armen in der Straßenambulanz und die Armenspeisung des Konvents. Sie halten den Ursprungsgedanken heiliger Bruderschaft gerade mit den Ausgestoßenen wach und zeigen, was es heißt, „nackt dem nackten Christus zu folgen“.
4. Das Patrozinium der Kirche: Kreuzauffindung
Auf zwei Dinge möchte ich in diesem Zusammenhang noch hinweisen.
Zum einen auf das Relief, das Julius Echter von Michael Kern fertigen ließ und über den Klostereingang setzte. Es zeigt den heiligen Franziskus, der in der Stigmatisation die Wundmale des Herrn empfängt.
Und zum anderen möchte ich an das Patrozinium der Klosterkirche erinnern, die dem Fest der Kreuzauffindung geweiht ist.
Der Empfang der Wundmale war für Franziskus seine persönliche Kreuzauffindung. Dem gekreuzigten Herrn wollte er nachfolgen. Dessen Wundmale prägten sich an seinem Leib aus. Er wurde zu einem mitfühlenden Menschen. Dass die Wundmale nicht einfach abheilten, sondern offenblieben, wurde dabei zum Fanal, die offenen Wunden der Menschen nicht zu meiden. Vielmehr erinnerten die offenen Wunden an die zahllosen Verwundungen in Kirche, Stadt und Gesellschaft, die nach Heilung verlangen.
Kreuzauffindung als Patrozinium meint also die Verpflichtung, wachen Sinnes zu sein und im Geist des heiligen Franziskus nach den unverbundenen Wunden zu suchen der leidenden Glieder des Leibes Christi. Nicht nur in der Krankenhausseelsorge, in der Bruder Maximilian einen wertvollen Dienst leistet, sondern auch im prophetischen Sinn hier in der Stadt. Der stigmatisierte Mensch hat einen Sinn für alle Stigmatisierten, für all die, die ausgesondert, weggesperrt und marginalisiert werden. Kreuzauffindung wird zum geistlichen Vermächtnis und Auftrag für den ganzen Konvent.
Die Kurzpredigt des Heiligen Franziskus
Wie segensreich und aufrüttelnd die ersten Brüder gewirkt haben, erhellt aus der Notiz des Jordan von Giano, wonach die Menschen die Fußspuren der Franziskaner geküsst hätten. Die Einfachheit und Demut der Söhne des heiligen Franziskus hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Nun müssen die Menschen sicher nicht unsere Fußspuren küssen. Aber schön wäre es dennoch, wenn es gelänge, Spuren zu hinterlassen, die anderen erlauben, sich daran zu orientieren und den Weg zu Christus zu finden. Das wünsche ich Ihnen allen heute von Herzen. Ebenso herzlich danke ich Ihnen für Ihren Einsatz in der Seelsorge und für das vertrauensvolle Miteinander mit dem Bistum.
Das letzte Wort sei an diesem Tag jedoch dem heiligen Franziskus selbst überlassen. Die aufrüttelnde Kurzpredigt, die Thomas von Celano überliefert, sei Ihnen Aufmunterung und Ermutigung für hoffentlich noch viele gute Jahre hier in Würzburg und Deutschland:
„Großes haben wir versprochen, Größeres ist uns versprochen,
halten wir jenes, sehnen wir uns nach diesem.
Flüchtig ist unser Begehren, ewig die Strafe;
gering das Leid, unvergänglich die Herrlichkeit!
Der Ruf geht an viele, wenige werden auserwählt;
vergolten wird allen!“
Möge dem, der uns Größeres versprochen hat, als wir uns ausdenken können, auch unser größerer Eifer gelten.
Ad multos annos! Auf noch viele segensreiche und gesegnete Jahre hier in Würzburg!
Amen.